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Vernunftehe und andere Kompromisslösungen in der Paartherapie und Eheberatung

Es ist nicht notwendig, dem Partner jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und zu erfüllen, sondern vielmehr die Möglichkeit und den Raum in der Beziehung zu lassen, die notwendig sind, damit er diese selbst erfüllen kann.

Die Disney-Phantasie von Liebe und Romantik wird, so traue ich mich als Experte sagen, in keiner Beziehung der realen Welt erfüllt. Wir sind als Menschen weit entfernt davon, perfekt zu sein und genauso wenig sind es unsere Beziehungen. Aus diesem Grund gehören Kompromisse, Vereinbarungen, Einigungen oder wie man sie auch nennen mag, zum Leben mit anderen Menschen dazu. Trotzdem werden Partnerschaften und Ehen, die aus Vernunftgründen entstehen oder auch nur beibehalten werden, oftmals schief angesehen. Es passt nicht in das romantische Bild, dass uns Fernsehen und andere Medien vermitteln. Solche Kompromisslösungen passen auch nicht in unsere Wünsche, Träume und Vorstellungen des eigenen Beziehungslebens. Doch weswegen können sich so wenige Menschen vorstellen, aus Vernunft zu heiraten oder eine Beziehung zu führen, die auf Basis von Kompromissen fortbesteht?

 

Kompromisse als Basis allen Übels? – Experte für Paartherapie und Eheberatung räumt mit negativen Vorurteilen auf

 

Die meisten Menschen stellen im Laufe ihres Lebens fest, dass Beziehungen nicht nur rosarot, perfekt und in jeder Hinsicht entspannend und erfüllend sind, sie sind auch eine ganze Menge Arbeit. Nachdem es keine perfekten Personen gibt, hat jeder von uns Eigenheiten, die im Zusammenleben mit anderen möglicherweise auf Unverständnis, im besten Fall jedoch auf Toleranz stoßen. Vielleicht will eine Person jeden Freitag zu seinem Stammtisch gehen und dort mit Freunden trinken und reden. Der Partner findet die Idee, jeden Freitag alleine zu verbringen, nicht unbedingt toll. Weil er jedoch weiß, wie wichtig dies dieser geliebten Person ist, wird kein Versuch unternommen, ihr diese Freude im Leben zu nehmen. Der Partner zeigt sich somit tolerant, erwartet jedoch möglicherweise im Gegenzug, dass jeden ersten Sonntag im Monat ein Besuch bei den Eltern ansteht, worauf die Person keine Lust hat, aber trotzdem mitkommt. Es wurde ein Kompromiss gefunden, der beiden Seiten das Leben in einem Moment ein Stück weit erleichtert und es bereichert, in einem anderen Moment jedoch ein wenig erschwert. Dies mag nicht ideal klingen und unrealistische Vorstellungen von Liebe und Beziehungen wollen uns weißmachen, dass dies die Wurzel allen Übels ist. Ich als Eheberater und Paartherapeut bin jedoch gegenteiliger Meinung: Kompromisse sind das Beste einer Beziehung, denn sie zeigen, dass beide Partner bereit sind, nicht nur zu nehmen, sondern auch zu geben. Für eine funktionierende und erfüllende Partnerschaft und Ehe ist es absolut notwendig, zu zeigen, dass man gewillt ist, in die Beziehung zu investieren, dem anderen Partner Wünsche zu erfüllen und Freiraum zu geben, wo er es gerne hätte.

Im Beziehungscoaching ist es folglich zu allererst notwendig, zu klären, was jedem Partner wichtig ist. Jeder Mensch will bestimmte Dinge im Leben, erfreut sich an manchen Aktivitäten und hat Vorstellungen vom Ablauf des Alltags, sowie Träume und Wünsche. Will ich mit einer Person Zeit verbringen, muss ich auf diese Vorstellung ihres Lebens Rücksicht nehmen, denn sonst kann es schnell passieren, dass ich keinen Platz in diesem Leben habe. Es ist somit notwendig, aufeinander zuzugehen, Wünsche zu formulieren und auch Kompromisse einzugehen. Es ist nicht notwendig, dabei dem Partner jeden Wunsch von den Lippen abzulesen und zu erfüllen, sondern vielmehr die Möglichkeit und den Raum in der Beziehung zu lassen, die notwendig sind, damit er diese selbst erfüllen kann.

 

Auch Vernunftehen können gute Ehen sein – warum auch die Vernunft in der Eheberatung und Paartherapie eine wichtige Rolle spielt

 

Gehen wir nun einen Schritt weiter: von Kompromissen, die wir alle in unseren Beziehungen eingehen und die für das langfristige glückliche Beisammensein benötigen, zur Vernunftehe. Ehen werden, so lernen wir es, aus Liebe geschlossen und die Basis für ein – hoffentlich – lebenslanges Beisammensein sollte nach dem allgemeinen Verständnis auch Liebe sein. Nun gibt es in meiner Praxis auch Ehen, die lediglich bestehen, weil man gemeinsam für die Kinder da sein will. Es gibt auch Ehen, die aufgrund finanzieller Vorteile, fortgeführt werden. In beiden Fällen kann leider nicht davon gesprochen werden, dass Liebe der Kitt ist, der die Partner zusammenhält – doch ist das so schlimm? Jein, würde ich als Paartherapeut sagen, es kommt darauf an, wie das Zusammenspiel der Partner aussieht. Können die Partner respektvoll, freundlich, harmonisch miteinander umgehen, können sie wie gute Freunde reden, schaffen sie gemeinsam Probleme aus der Welt und ziehen an einen Strang, sehe ich absolut keinen Grund, weswegen eine Vernunftehe etwas Schlechtes sein sollte. Und welcher Grund könnte schöner und vernünftiger sein, als die gemeinsamen Kinder, die von beiden Seiten geliebt werden? Auch ist es kein schlechter Grund, aufgrund finanzieller Vorteile zusammenzubleiben, denn obwohl dieses Szenario unromantisch klingt, finde ich aus Sicht des Beziehungscoachings: Wenn sich das Leben zusammen einfacher und sorgenfreier gestaltet, erfüllt auch in diesem Fall die Ehe einen ausgezeichneten Zweck. Wovon ich jedoch dringend abrate ist, eine Ehe oder Beziehung aufrecht zu erhalten, welche beiden Partnern insgesamt schadet. Wenn ständig gestritten wird, emotionale Kälte herrscht, keiner mehr mit dem anderen kann, der Umgang kränkend oder respektlos ist, dann gibt es in meinen Augen keinen Grund, der groß genug ist, um eine sogenannte giftige Beziehung aufrechtzuerhalten. In diesen Fällen wäre es jedoch auch keine Vernunftehe, denn die Vernunft sagt auch, dass es beiden in der Beziehung gut gehen muss.

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