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Fremd- und Selbstwahrnehmung in der Paartherapie

Viele Menschen empfinden dahingehend den Wunsch, aktiv zur Gesundung ihres Partners beitragen zu können.

Blinde Flecken spielen nicht nur im Straßenverkehr eine (eher unerfreuliche) Rolle. Denn wir tragen blinde Flecken quasi ständig mit uns herum. Wofür wir blind sind? Die überraschende Antwort ist: Uns selbst gegenüber! Obwohl wir glauben Experten in Sachen unseres Selbst zu sein, gibt es doch gewisse Eigenschaften an uns, die anderen auffallen, uns aber nicht oder zumindest nicht vollends bewusst sind. Etwa, dass unser Sauberkeitsbedürfnis schon einen etwas zwanghaften Charakter annimmt, oder dass wir dazu neigen, in Gesprächen unaufmerksam zu werden und anderen ins Wort zu fallen. Oder aber unsere Selbsteinschätzung stimmt so gar nicht mit der Wahrnehmung anderer überein. Während wir uns beispielsweise als fürsorglich und unterstützend erleben, kann dies vom Partner als kontrollierend empfunden werden. Das ist natürlich auch ein wichtiges Thema in der Paartherapie und Eheberatung, denn kaum ein anderer Mensch kennt uns schließlich besser als unser eigener Partner! Die Partnerschaft kann dahingehend als wertvolle Lernmöglichkeit verstanden werden, denn wir beginnen erst an der Grenze unseres eigenen Selbst- und Weltbildes zu wachsen und zu reifen. Auch Konflikte können so letzten Endes eine Chance darstellen. Ohne den sprichwörtlichen Spiegel, der uns von anderen vorgehalten wird, bleiben wir blind, haben in unserem Gegenüber jedoch die Möglichkeit, mehr über uns selbst zu erfahren. Nicht aber nur unser Partner sondern auch der Paartherapeut und Eheberater kann eine solche Funktion einnehmen. Im Rahmen einer Paartherapie wird nicht nur die Kommunikation und das gegenseitige Verständnis gefördert, der Experte treibt auch seinerseits den Prozess der Selbsterkenntnis an, indem er verschiedene Verhaltens- und Denkmuster aufgreift, zurückspiegelt und damit ins Bewusstsein rückt. Nicht nur die Wahrnehmung des Partners, sondern eben auch diese Beobachtung eines unabhängigen, neutralen Dritten kann von ungemeinem Wert sein. Paartherapie muss dabei aber nicht zwingendermaßen immer zu dritt stattfinden.

Gerade zu Beginn einer Paartherapie bzw. Eheberatung kann es auch von Vorteil sein, wenn der Experte zuerst mit den Partnern einzeln arbeitet, ehe wieder alle Teile zusammengeführt werden.

Das kann vor allem dann sinnvoll sein, wenn es beispielsweise noch Vorbehalte zu klären gibt oder aber zu starke Blockaden oder Emotionen ein gemeinsames Gespräch wenig konstruktiv erscheinen lassen. Da davon abgesehen jedoch aus oben genannten Gründen die Vorteile einer Einbindung beider Partner bei weitem überwiegen, macht sich dies auch eine spezielle Form der Psychotherapie zu Nutzen. Hierbei findet die Einzeltherapie im Beisein des Partners (beidseitiges Einverständnis vorausgesetzt!) statt, was heißen soll, dass wie bei einer gewöhnlichen Psychotherapie zwar der Fokus auf einer Person liegt, der Partner als wichtige Ressource jedoch zum Therapieerfolg beitragen kann. Die Vorteile eines solchen Arrangements können vielfältig sein. Viele Studien zeigen, dass unsere Beziehung einen großen Einfluss auf unsere psychische und körperliche Gesundheit hat. Die Miteinbeziehung des Partners stellt also dahingehend einen logischen Schritt dar, da es sich hierbei schließlich auch um jenen Mensch handelt, mit dem wir abseits unseres Berufslebens die meiste Zeit verbringen. Dieser ist also in der Regel auch fast immer von einer Erkrankung direkt oder indirekt Mitbetroffen.

Viele Menschen empfinden dahingehend den Wunsch, aktiv zur Gesundung ihres Partners beitragen zu können.

Statt also im Rahmen einer Therapie außen vorgelassen zu sein, kann hier Verantwortung übernommen werden, was sich auch sehr stärkend auf die Beziehung auswirken kann. Für den Betroffenen ist es zudem oft einfacher den ersten Schritt hin zu einer Therapie zu machen oder motiviert an verschiedenen Zielsetzungen zu arbeiten. „Wir gehen gemeinsam“ klingt nicht nur bestärkend, es hilft auch sich von der falschen Vorstellung zu lösen, dass nur „Kranke“ eine Therapie wahrnehmen oder von einer solchen profitieren können. Schließlich lernen beide Partner in diesem Prozess nicht nur über die Erkrankung sowie den jeweils anderen sondern schlussendlich immer auch über sich selbst dazu. Das Spannungsfeld zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung kann dabei im Rahmen der Therapie ein äußerst konstruktiver Faktor sein. Wie nimmt sich der Betroffene in seinem Verhalten und Erleben wahr? Wie sieht dies sein Partner? Wesentlich ist, dass es hier keinesfalls um ein „richtig“ oder „falsch“ (also um eine Bewertung) sondern lediglich darum geht, wie diese Wahrnehmungen zustande kommen und was sich dabei daraus Hilfreiches für ein Mehr an Gesundheit und Wohlbefinden ableiten lässt. Von der Wahrnehmung anderer Menschen zu lernen – das ist ein wesentlicher Bestandteil von Paartherapie und Eheberatung. Es kann uns nicht nur dabei helfen, gemeinsam Konflikte zu lösen und eine erfüllende Beziehung zu gestalten, es ist auch ein wertvoller Beitrag in unserer Persönlichkeitsentwicklung.

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