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ADHS Fluch und Segen? Alles eine Frage der Perspektive
Wie jede und jeder Betroffene weiß, liefert einschlägige Literatur genauso wie das Internet eine Fülle an Schwierigkeiten, mit denen ADHS verbunden wird, genauso wie die passenden Tipps und Tricks, wie diese "Mängelliste" am besten im Alltag bewerkstelligt werden kann. Wie bei jeder Besonderheit – und im Grunde ist auch ADHS nichts anderes – wird die Aufmerksamkeit häufig darauf gelenkt, was anders ist, was nicht funktioniert, was für das Funktionieren einer Person in unserer Gesellschaft hinderlich ist. Wie jede Besonderheit hat jedoch auch ADHS Vorteile, sowohl für das soziale Miteinander als auch den beruflichen Werdegang. Da dies eine Seite des Themas ist, die kaum angesprochen wird, soll dieser Artikel dazu anregen, ADHS auch von einer anderen Seite zu betrachten. Dabei erhebe ich keinerlei Anspruch auf Vollständigkeit und will trotz der allgemeinen Darstellung weder eine Gruppe von Personen verallgemeinern noch ADHS als solches als ausschließlich positive Ressource darstellen. ADHS Betroffene sind wie alle anderen Menschen in erster Linie Individuen mit einer großen Menge an Eigenschaften, von denen einige in mehr oder weniger starker Ausprägung der Diagnose ADHS zugeordnet werden. Diagnosen werden gestellt, um Verhalten zu erklären, Therapieempfehlungen zu geben und Prognosen zu stellen. Sie definieren in keiner Weise den Wert einer Person, sie sollten somit auch nicht dazu gebraucht werden, Menschen in Schubladen zu stecken oder den Menschen hinter der Diagnose zu übersehen.
ADHS kann so viel mehr – der Wert des Andersseins
Ein häufig genanntes Manko, das ADHS Betroffenen angelastet ist, ist ihr fehlendes Verständnis gegenüber Regeln und Normen. Während dies offensichtliche Probleme im Alltag hervorruft, vor allem im Beruf sowie in gesellschaftlichen Zusammenhängen, ist es jedoch genau dieses Unverständnis, welches in vielfacher Weise nötig ist für Reformbewegungen. Personen, welche blindlinks Regeln folgen, ohne diese zu hinterfragen, halten mitunter antiquierte und sinnlose Normen am Leben. Erst durch das Hinterfragen eben solcher ist es möglich, eine Gesellschaft zu verbessern und zu modernisieren. Während dies natürlich kein Aufruf sein sollte, generell Regeln zu missachten und Gesetze zu brechen, ist es ein Appell daran, diese Eigenschaft nicht nur als Hindernis zu betrachten. Hinterfragen von Normen ist nicht nur für Sie selbst, sondern auch für Ihre Mitmenschen ein wichtiger Denkanstoß. Aus dem Hinterfragen an Regeln und Normen resultiert auch ein gutes Verständnis von und ein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit.
Hypersensitivität ist eine häufig vorkommende Besonderheit von ADHS Betroffenen, welche von anderen Personen meist nicht als störend empfunden wird und somit in der Literatur nicht so häufig erwähnt wird, wie viele andere Eigenheiten. Hingegen kann sie durchaus zur Belastung für ADHS Betroffene werden, welche somit dazu tendieren hier nur die negativen Seiten zu sehen. Während Hypersensitivität wirken kann, als würde man ständig angegriffen werden, können hypersensible Personen Veränderungen viel schneller wahrnehmen als andere Menschen. Sie sehen Details, welche für andere kaum erfassbar sind und können diese Fähigkeit sowohl beruflich als auch privat einsetzen.
Eine Eigenschaft, die maßgeblich mit ADHS assoziiert ist, ist die fehlende Möglichkeit, die Aufmerksamkeit für längere Zeitdauer auf einer Aufgabe zu halten. Interessanterweise trifft dieses häufig als Problem wahrgenommene Phänomen nicht auf, wenn sich eine Person mit ADHS für ein Thema brennend interessiert. Hier zeigt sich bei vielen Betroffenen eine nicht nur für ADHS überdurchschnittliche, außergewöhnlich gute Konzentrationsfähigkeit, wodurch ein solches Interesse – wenn möglich – auch im beruflichen Kontext von Interesse ist. Eine weitere Folge von mangelndem bleibenden Interessen und Fokus ist, dass Menschen mit ADHS meist neugierig sind und neue Wege gehen, wo andere Personen keine sehen. Dies kann zu Innovationen in vielen Bereichen führen, solange die Begeisterung und der Fokus dafür lang genug auf diese neuen Wege gerichtet bleiben.
Eine ebenfalls oft vorgeworfene Eigenschaft ist die Unruhe, welche sich im Kindesalter als körperliche Bewegung manifestiert, im Erwachsenenalter jedoch viel stärker ins Innere gerückt ist und dort für Sprunghaftigkeit in der Gedankenwelt sorgt. Diese Agilität wird zwar häufig als anstrengend für die Betroffenen sowie ihr Umfeld wahrgenommen, hat jedoch die Konsequenz, dass die Betroffenen über stärker ausgeprägte Kreativität verfügen als der Durchschnitt der restlichen Gesellschaft. Sie spielt übrigens ebenfalls eine große Rolle in dem Suchen neuer Wege und Möglichkeiten.
Insgesamt können viele der "Mankos", die mit ADHS in Verbindung gebracht werden, auch positiv genutzt werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie nicht in extremen Ausprägungen vorhanden sind und somit für den Betroffenen zumindest in gewisse Bahnen lenkbar sind. Entsprechend soll dieser Artikel die Belastung durch das Syndrom nicht schmälern, sondern eher Hoffnung geben, dass im besten Fall mit professioneller Hilfe ein Zugang gefunden werden kann, die belastenden Eigenschaften für sich zu nutzen.
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